Wenn du im Growth Marketing komplexe Experimente planst, kennst du das: Jede neue Kampagne, Hypothese oder Produkteinführung ist mit Unsicherheit behaftet. Klar, du nutzt Confidence Level, analysierst historische Daten und beziehst dein Team ein. Doch wie stellst du sicher, dass du vor dem Start die größten blinden Flecken und drohenden Fehlschläge identifizierst und Fehlerwahrscheinlichkeiten systematisch minimierst?
Hier kommt die Methode des dokumentierten Pre-Mortems ins Spiel – ein Tool, das sich perfekt in den experimentellen Framework einfügt und auf neueste methodische Erkenntnisse aufbaut.
Was ist ein dokumentiertes Pre-Mortem?
Das Pre-Mortem ist ein strukturierter Gruppendenkprozess vor dem Experiment (oder Projekt), bei dem du und dein Team aus Sicht der Zukunft fragen:
“Stell dir vor, unser Experiment ist spektakulär gescheitert – was ist schiefgegangen?”
Im Gegensatz zum klassischen Post-Mortem (nachträgliche Fehleranalyse) antizipiert das Pre-Mortem potenzielles Scheitern vor dem Start. Die dokumentierte Form verankert alle erkannten Risiken, Annahmen, Unsicherheiten und präventiven Maßnahmen schriftlich – oft visuell aufbereitet – als Teil deiner Experiment-Dokumentation.
Warum das so mächtig ist:
Pre-Mortems durchbrechen kognitive Verzerrungen wie Overconfidence und Confirmation Bias und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, schadhafte Blindspots im Design, in Hypothesen und Messmethoden frühzeitig zu erkennen. Sie lassen dich Unsicherheit systematischer adressieren – und genau das ist laut Wissenschaft einer der grundlegenden Erfolgsfaktoren experimenteller Arbeit.
Methodischer Ablauf – Golden Rules of Experimentation applied
Pre-Mortems lassen sich nahtlos entlang der goldenen Regeln des Experimentierens aufsetzen:
1. Hypothese & Zieldefinition (Experiment Setup)
Formuliere klar, was getestet werden soll. Definiere Messmetriken und Erfolgskriterien so präzise wie möglich.
Beispiel: „Wir testen, ob eine neue Pricing-Logik die Conversion Rate um X% steigert.“
2. Pre-Mortem-Session: Failure als Ausgangspunkt
Stelle deine Crew zusammen. Noch vor Analysen oder Rollout geht’s in die Imaginationsphase:
- Jeder imaginiert, warum das Experiment gescheitert ist.
- Gründe werden gesammelt, priorisiert, kategorisiert (z.B. Methodik-Fehler, Datenprobleme, Marktreaktion).
3. Dokumentieren der Ergebnisse
Die gesammelten Annahmen und Risiken werden transparent im Experiment-Briefing oder einem eigenen Pre-Mortem-Template festgehalten:
- Risiko: Nutzerbasis ist nicht repräsentativ.
- Gefahr: Datenerhebung ist fehleranfällig.
- Unsicherheit: Externe Faktoren (z.B. Saisonalität, Konkurrenzaktionen). Alle Punkte werden mit Verantwortlichkeiten und präventiven Maßnahmen verknüpft.
4. Iteratives Review & Alignment
Die Dokumentation ist kein „One-off“-Artefakt:
Vor jedem Go-Live und nach ersten Testdaten werden Annahmen und Risiken erneut geprüft, aktualisiert und weitergereicht.
Goldene Regel: Beziehe verschiedene Disziplinen mit ein (Produkt, Data Science, Marketing, Vertrieb), um möglichst alle Perspektiven und Erfahrungswerte zu berücksichtigen.
5. Test-Setup und Kommunikationsstrategie
Die validierten Risiken fließen in dein Testdesign (z.B. Adjustierung des Confidence Levels, größerer Sample Size, zusätzliche Kontrollgruppen, sorgfältige Datenvalidierung).
Kommuniziere Unsicherheiten und offene Fragen explizit an Stakeholder. Das erhöht Transparenz und schützt vor Überraschungen im Reporting.
Warum sind dokumentierte Pre-Mortems so kritisch für Growth Teams?
Die aktuelle Forschung zum Thema „Experiment vs. Certainty“ bestätigt:
- Absolute Gewissheit gibt es nicht. Auch das beste statistische Setup arbeitet nur probabilistisch.
- Je besser wir unsere Unsicherheiten quantifizieren, desto valider und robuster werden Entscheidungen.
- Pre-Mortems zwingen dich, die Grenzen deiner Hypothesen und Testmethoden vorab kritisch zu bewerten statt „blind“ auf’s beste Outcome zu hoffen.
- Durch die strukturierte Dokumentation werden Fehlerursachen, Unsicherheitsfaktoren und Korrekturen für nachfolgende Experimente festgehalten – das sichert Lerntransfers und senkt die Fehlertoleranz für Wiederholungsfehler.
Praxisbeispiel: So sieht ein dokumentiertes Pre-Mortem aus
Experiment: Neue Onboarding-Experience für B2B-Testnutzer
Pre-Mortem-Session dokumentiert:
- Hauptgrund für Scheitern: Zu lange Ladezeiten im Registrierungsprozess (Risiko IT-Infrastruktur).
- Unsicherheit: Zielgruppe testet während Branchenmesse, abweichendes Nutzungsverhalten denkbar.
- Korrektur: Startzeitpunkt verschieben, abschließenden User-Technik-Check in die Abnahme einbauen, Monitoring-Alerts schärfen.
- Maßnahmen und Verantwortliche dokumentiert.
Ergebnis: Bereits vor Experimentstart wurden zwei potenzielle Scheiterfaktoren eliminiert – die Messung wurde robuster, das Reporting klarer.
Fazit: Pre-Mortems als strategisches Asset im Experimentprozess
Als Growth Marketer solltest du dokumentierte Pre-Mortems als festen Baustein in deinem Experiment-Workflow etablieren. Das liefert dir und deinem Team:
- Mehr Sicherheit durch explizites Antizipieren von Risiken,
- Systematischere Reflexion von Hypothesen und Messmethoden,
- Verbesserte Cross-Team-Transparenz,
- Langanhaltende Wissenssicherung und geringeres Fehlerwiederholungsrisiko.
Merke:
Experimentelle Gewissheit ist immer graduell – der offene, iterative Umgang mit Unsicherheit bleibt der Schlüssel. Dokumentierte Pre-Mortems sind ein pragmatisches, effizientes Tool, um aus Unsicherheit planbare Erfolge zu schaffen und Growth langfristig systematisch abzusichern.
Willst du Vorlagen oder praxisnahe Beispiele für Pre-Mortem-Templates für dein Team? Melde dich und wir tauschen uns aus!